Respekt für jüdische Kultur und Geschichte

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"1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" – ein Jubiläum, das 2021 nicht nur Feier, sondern auch Auftrag war. Ein Auftrag, Geschichte sichtbar zu machen und Verantwortung zu leben. Meine Videoinstallation Grünanlage entstand in diesem Geist: eine Hommage an Sprache, Literatur und die vielschichtige Geschichte jüdischer Kultur. Die Arbeit umfasst sechzehn Videos, projiziert auf sieben großflächige Wände des Museum Ludwig – ein visuelles Gewebe aus Archivmaterial, literarischen Zitaten und poetischen Fragmenten, das die Komplexität jüdischer Erfahrungen in Deutschland erfahrbar macht.

Die Ausstellung Grünanlage im Museum Ludwig war eine Kooperation mit der Kölner Bibliothek Germania Judaica. 1700 Bücher jüdischer Literatur – ein symbolischer Akt des Respekts – waren Teil der Installation. Als das Museum Ludwig das Werk erwarb, konnten die Bücher nicht in den Besitz des Museums übernommen werden, da es sich um eine Leihgabe der Germania Judaica handelte. Für mich war es deutlich: Die Idee dahinter durfte nicht verschwinden. Daher schuf ich einen Vertrag, der die Bücher ersetzt – nicht durch Objekte, sondern durch Verpflichtung.

Der Abschlussbericht der unabhängigen Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung der documenta fifteen 2022 war für mich ein Weckruf und ein Grund zum Handeln. Als jüdischer Künstler erkannte ich die Dringlichkeit, institutionelle Verantwortung nicht nur zu fordern, sondern aktiv zu gestalten. Ich schrieb an Museumsdirektor Yilmaz Dziewior: „Das Schweigen der zentralen Akteure erschüttert mein Vertrauen. Ich erwäge, mein Werk zurückzukaufen – denn es repräsentiert nicht nur mich, sondern eine Vergangenheit, die niemals vergessen werden darf." Aus diesem Dialog mit dem Museum entstand schließlich die konkrete Ausformung des Vertrags – ein Prozess, der zeigte, wie institutionelle Verantwortung nicht durch Konfrontation, sondern durch gemeinsame Reflexion Gestalt annimmt.

Dieser Vertrag ist kein Anhang, sondern Teil der Installation selbst. Er hängt sichtbar neben den Projektionen, ein Dokument mit präzisen Klauseln: Das Museum verpflichtet sich, die Arbeit stets im Geiste der Würde auszustellen – ohne Diskriminierung, ohne Verharmlosung der Geschichte (§1, §2). Es muss Schulungen gegen Antisemitismus durchführen, alle Begleittexte prüfen und sogar Social-Media-Kommentare überwachen (§3). Sollte das Werk verliehen werden, reist der Vertrag mit und bindet auch die ausleihende Institution (§5). Verstößt das Museum gegen diese Regeln, habe ich das Recht, die Installation sofort zu entfernen (§6). Damit ist der Vertrag beides: rechtlich bindendes Dokument und konzeptuelles Statement – eine ethische Architektur, die passive Betrachter*innen in Mitverantwortliche verwandelt.

Antisemitismus ist ein Gift, das Gemeinschaften spaltet. Der Vertrag erinnert daran: Jedes Schweigen, jedes falsche Wort, jedes Bagatellisieren hat Folgen. Nicht nur für die jüdische Gemeinschaft, sondern für uns alle. Der Vertrag ist mehr als ein Regelwerk – er ist ein Manifest. Ein Manifest, das sagt: Kunst darf nicht schweigen, wenn Unrecht geschieht. Sie muss Haltung zeigen, gerade in Museen, die als Orte der Reflexion gelten.

Besucher*innen werden neben den Projektionen nicht nur Videos sehen, sondern ein Dokument, das Fragen stellt: Wie gehen wir mit Geschichte um? Wie stellen wir sie aus? Die Installation ist kein Schlusspunkt, sondern ein Prozess – ein Aufruf, die Stimmen der unsichtbaren Bücher, die Widersprüche der Gegenwart und die Verantwortung der Sichtbarkeit anzuerkennen. Kunst, die schweigt, ist Komplizenschaft. Hier wird Schweigen durch Vertragsbedingungen ersetzt – und Handeln zur Pflicht.

In einer Welt, die nach einfachen Antworten schreit, setzt Grünanlage ein Zeichen der Komplexität. Sie erinnert uns: Geschichte ist nie linear, Kunst nie neutral. Und Verantwortung? Die liegt bei uns allen – als Institutionen, als Künstler*innen, als Gesellschaft. Eine gerechte Zukunft entsteht nicht durch Zufall. Sie entsteht, wenn wir Vielfalt schützen, zuhören und vor allem: handeln.